Wilfried Ogilvie, der Initiator und Mitbegründer der Alanus-Hochschule, ist am 23. Mai 2024 im Alter von 94 Jahren gestorben. Als Künstler lebte und wirkte er auf allen Feldern der Bildenden Kunst. Den Darstellenden Künsten stand er genauso nahe. Daher konnten Menschen, die mit ihm arbeiteten, verschiedene Klänge seines Schaffens erleben.
In den achtziger und neunziger Jahren war der Fachbereich Architektur im Schloss Alfter untergebracht. Wenn Ogilvie uns dort zum Unterricht besuchte, kam er meist von einem der anderen Hochschulstandorte in Alfter, aus einem Atelier, einer Werkstatt oder aus einer Beratung mit anderen Menschen. Und es klang in ihm die Beschäftigung mit dem Aufbau der jungen Hochschule nach, wenn er sinnend aus den hohen Räumen in den Park schaute. Wir standen am Plastizier-Bock. Es ging um die Bebauung eines Grundstückes am Hang. Ja, sagte er, der Entwurf ist schon ganz interessant, aber der Berg. Wie, erkundigte ich mich, was ist mit dem Berg? Ja, der ist noch etwas langweilig, der muss steiler sein, denken Sie an einen Fjord. Und dann nahm er mir den Spachtel aus der Hand und machte sich über das Modell her. Wir konnten dann eintauchen in sein Wesen, das gleichzeitig von Energie getragen war und auch von Vertrauen auf die Kräfte, die uns im künstlerischen Handeln entgegenkommen. Schauende Phantasiekräfte und ordnende Elemente, welche helfen eine Form oder eine Bewegung sichtbar werden zu lassen. Und so wuchsen der Berg und das Haus aneinander. Aha, es braucht eine gewisse Kühnheit, um das Neue in die Welt zu bringen, Kühnheit und Augenmaß.
Es ging genau um diesen Prozess, wenn Ogilvie später vom Weg zur Gründung der Hochschule erzählte. Es gab eine Zeit, in der er sich nachts gedrängt fühlte, eine akademische Ausbildung für Künste ins Leben zu bringen. Bis er beschloss, einen Ort für Malerei, Grafik und Bildhauerei zu begründen. Zuerst als Konzept, als Kollegium, dann an einem geographischen Standort. Diese Entscheidung und die ersten Schritte brachten ihm etwas Ruhe. Bis er wieder nachts wach lag, und verspürte, dass der Gründungsimpuls über die Grenzen der Bildenden Künste hinaus gehen wollte, dass er ein umfassender Ort für die Ganzheit und Einheit aller Künste werden sollte. Also sollten auch Musik, Bewegungskunst und Schauspiel hinzukommen. Diesen Auftrag nahm Ogilvie mit großem Respekt wahr. Er fuhr nach Stuttgart, um mit Else Klink, der damaligen Leiterin des Eurythmeums, seine Zweifel zu beraten. Warum tust du nicht, was in dir liegt und was dir gezeigt wird, war ihre Frage. Auch Bernard Lievegoed in Driebergen (NL) bekräftigte diesen Rat. Und so begann der Sammlungsprozess gleichgesinnter Menschen. Konstellationen bildeten und veränderten sich. Die Standortfrage wurde offengehalten, bis schließlich Dr. Günter Schönemann 1973 die Gründung in den Raum Bonn holte. Es hatte der innere und der äußere Aufbau der Hochschule begonnen. Dies war ein Prozess, der schrittweise Form annahm. Auch der Name stellte sich erst während der Vorbereitungen ein. Wilfried Ogilvie fühlte sich durch die Schule von Chartres angesprochen und von Alanus ab Insulis, dem Doctor universalis, den die Vision eines neuen Menschen bewegte und die Einheit der sieben freien Künste. Die Gemeinschaft der Künste als Idee spannte für die Alanus- Hochschule einen Raum auf, den Studierendende und Gastdozenten aus aller Welt zur Mitwirkung aufsuchten. Immer wieder wollte neu ergründet und dargelegt werden, dass der entgrenzende Dialog der Künste gleichzeitig zu ihrer vertieften Eigenständigkeit beiträgt. Dass ein Bildhauer nicht auch noch Musik und Eurythmie studieren soll, sondern in der Begegnung mit ihnen Grunderlebnisse und Inspiration finden kann für die immerwährenden Kräfte von Rhythmus, Melodie und Choreografie.
Ogilvie orientierte sich lieber an konkreten Wahrnehmungen als in Gedankengebäuden. Er ermutigte immer zu neuen künstlerischen Erlebnissen, welche wir mit Bewusstsein durchdringen und erweitern können. Dabei war er von der festen Zuversicht getragen, dass aus dieser Arbeitsweise Dinge möglich werden, die uns vorher unbekannt sind.
Außerhalb der Hochschule engagierte sich Ogilvie als Gestalter für den entwicklungsorientierten Schulbau sowie für Gesundheits- und Andachtsbauten. Damit deutete er an, dass er neben der Erweiterung der Künste langfristig auch die Wiederannäherung an die Wissenschaften und an eine neue Spiritualität suchte.
Im Unterricht zitierte Wilfried Ogilvie manchmal aus dem Almanach Der Blaue Reiter. Hier Franz Marc: Kunst ist Wille zur Form. Dazu gehört dann auch die Bereitschaft zur Auflösung, um immer neue Form zu ermöglichen. Auch diese Kunst hat er gezeigt.