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Andrea Barth beschäftigt sich in ihrer Forschung mit Arbeitsräumen

Wie verändert die Corona-Pandemie unsere Arbeitsumgebung und unser Zuhause?

Andrea Barth forscht zu Arbeitsräumen und Bürokonzepten. Gemeinsam mit Prof. Dr. Susanne Blazejewski untersucht sie räumliche Veränderungsprozesse, die neue Arbeitsformen fördern. Im Interview spricht sie über Veränderungen von Arbeit und Arbeitsräumen durch Homeoffice und über ihr Forschungsprojekt.

Mehr Arbeit findet im Homeoffice statt. Inwiefern verändert das unsere Arbeit?
Durch die Pandemie mussten viele Erwerbstätige, unabhängig von ihrer Tätigkeit und deren Passungsfähigkeit für mobiles Arbeiten, ins Homeoffice. Einige arbeiteten immer schon relativ flexibel. Insbesondere die „Wissensarbeit“ erlaubt einen flexiblen Umgang mit Arbeitsort und Arbeitszeit, der gelebt wird. Für andere ist die Arbeit im Homeoffice allerdings neu. Es zeigt sich, dass viele das Homeoffice zukünftig nicht mehr missen wollen. Als Hochschulmitarbeiter*in beispielsweise muss man nicht für jedes Meeting an den anderen Standort fahren oder profitiert von digitalisierten Prozessen. Arbeitsprozesse können jedoch durch die unregelmäßigen Präsenzzeiten an der Hochschule auch komplizierter werden und es entfallen spontane, informelle Gespräche. Auch das sinnliche Erleben von Orten und das ‚Soziale‘ im Austausch miteinander ist weniger geworden. Beispielsweise wurden Studienbewerber*innen bisher an die Hochschule eingeladen, um die außergewöhnliche Atmosphäre der ‚Alanus‘ live erleben zu können, das ist aktuell leider nicht möglich.

Entwickelt sich mit der Zeit eher Akzeptanz oder eine Abneigung bezüglich der Nähe zwischen Job und Heim?
Die momentanen Veränderungen und die digitalen Möglichkeiten bringen Job und Privates natürlich räumlich näher. Der ‚multilocational worker‘ ist in seiner Arbeit nicht mehr örtlich ‚fixiert‘. Das ermöglicht Chancen, birgt aber auch Herausforderungen. Zu berücksichtigen ist, dass Erwerbstätige unter ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedingungen arbeiten. Dementsprechend führt die räumliche Entgrenzung von Arbeit zu Akzeptanz, aber auch zu Abneigung. Beispielsweise zeigen Studien, dass Homeoffice mehr Selbstorganisation fordert. Das kann zu mehr Autonomie und Empowernment der Arbeitnehmer*innen führen. Jedoch bedarf die Selbstorganisation auch Wissen, (Selbst-)Disziplin und die Möglichkeit Grenzen zwischen Arbeit und Privatem ziehen zu können. Wichtig ist, dass Unternehmen und Vorgesetzte ihre Arbeitnehmer*innen unterstützen und vor Überforderung schützen. Denn konträr zu gängigen Nachreden und Behauptungen, in denen die Arbeit im Homeoffice belächelt oder gar mit ‚Nicht-Arbeit‘ gleichgesetzt wird, zeigen Studien, dass die Arbeitsplatzflexibilisierung durchaus (auch) zu Mehrarbeit führt. Wahrscheinlich ist, dass sich durch die Pandemie die Bedeutung und die Praxis von Homeoffice noch weiter verändern werden.

Wie ist Abgrenzung zu Job-Themen in den eigenen vier Wänden möglich?
Grenzen zur Erwerbsarbeit können unterschiedlich gezogen werden. Paradoxerweise wird durch eine klare Abgrenzung zwischen Job und Privatem der Job räumlich und zeitlich sogar im privaten Raum integriert. Räumlich gesehen, in dem man sich einen abgegrenzten Arbeitsort im eigenen Wohnraum einrichtet und diesen Ort durch dem im Büro ähnliche Gegenstände, wie z. B. einen größeren Tisch oder einen zusätzlichen Bildschirm, anpasst. Darüber hinaus können die zeitlichen Rhythmen zu Hause den Rhythmen im Büro ähnlicher werden, indem „Konzentrationsphasen“ geschaffen und Störungen oder private Gespräche zu festgelegten Zeiten vermieden werden. Auch durch die Kameraübertragung bei Videokonferenzen geht der private Raum in den beruflichen Raum über. Gleichzeitig sind es aber ja gerade diese privaten Momente in denen zum Beispiel die Kinder durch den virtuellen Raum laufen oder der Mitbewohner im Hintergrund zu hören ist, die dem beruflichen Miteinander einen persönlicheren ‚Touch‘ geben und das ‚Soziale‘ in den Berufsalltag zurückbringen.

Verändert sich die Bedeutung von Räumen vor Ort? Wie können physische Räume neu gestaltet werden und was ist dabei zu beachten?
Ja, in gewissen Branchen oder Bereichen kommt es bereits zu einer sichtbaren Veränderung der Räume vor Ort. Diese Veränderung bekommt mit der Pandemie einen neuen Höhepunkt. Ziele der Unternehmen sind es, neue Bürokonzepte umzusetzen, die neue Arbeitsformen fördern, Arbeitsprozesse effektiver gestalten lassen, die Arbeitgeberattraktivität steigern und auch mit den schwankenden Raumauslastungen durch mehr Homeoffice umgehen können. Genau solch einen räumlichen Veränderungsprozess haben Prof. Dr. Susanne Blazejewski und ich uns bei einem Versicherungsunternehmen angesehen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts haben wir ein Jahr lang das Unternehmen wissenschaftlich begleitet und beobachtet wie sich die Mitarbeiter*innen in einer neuen, offenen und flexiblen Arbeitswelt verhalten. Interessanterweise konnte man durchaus erkennen, dass unter den Mitarbeiter*innen ausgehandelt wurde, „was“ neue Arbeit ist und, insbesondere, „wie“ neue Arbeit auszusehen hat, wie sie sich anfühlen soll und wie sie räumlich gelebt wird. Nicht nur die Frage nach dem „wie“, sondern auch „wo“ welche Art von Arbeit ausgeführt werden soll, veränderte sich durch die neuen Räume. Die Kaffeeküche wird zum Coffeepoint, das Besprechungszimmer zur Spielwiese. Büroräume wurden immer mehr zu Ausstellungsflächen. Die Mitarbeiter*innen wurden bereits zu Beginn intensiv in den räumlichen Umgestaltungsprozess miteingebunden, was am Ende zu einer größeren Akzeptanz und Zufriedenheit mit der neuen Arbeitswelt geführt hat. Nichtsdestotrotz, wurden auch ‚alte‘ Verhaltensweisen in die ‚neue‘ Arbeitswelt mitgenommen, wie zum Beispiel die Vereinnahmung vereinzelter Arbeitsplätze, die dem neuen Desksharing-Prinzip widerlaufen. Insbesondere die sozialen Dynamiken und die Bedeutung von kollektiver Sinnstiftung hinsichtlich neuer Räume sollte im Prozess einer räumlichen Neugestaltung mitgedacht werden.

Können digitale Räume physische Räume ersetzen?
Es wird davon ausgegangen, dass das Büro der Zukunft verstärkt gemeinschaftliche Aktivitäten für Co-Kreation und Projektarbeit räumlich ermöglichen, hingegen weniger Basistätigkeiten und weniger klassische Besprechungen unterstützen wird. Wir können feststellen, dass digitale Räume physische Räume in manchen Bereichen gut ersetzen. Zum Beispiel Besprechungen im klassischen Sinne wie z. B. der Jour-Fixe oder das Daily können recht problemlos und effizient in den digitalen Raum verlegt werden. Menschen können sich von überall aus per Mausklick jederzeit ‚treffen‘ und digitale Räume bieten mittlerweile eine Reihe an Interaktions-Möglichkeiten, die vermutlich in Zukunft noch ausgebaut werden. Die Identifikation mit dem Job und mit der eigenen Arbeit ist jedoch häufig an den physischen Raum und an Artefakten des Unternehmens gebunden. Wie bereits erwähnt, ist der Ort und das Gebäude der Alanus Hochschule für viele identitätsstiftend und zieht auch unsere Studierenden an. Die Funktion des Bürogebäudes als Begegnungsstätte und als Versinnbildlichung des Unternehmens, sollte daher nicht unterschätzt werden. Interessant wäre es zu untersuchen, ob und inwiefern digitale Räume diese identitätsstiftende Rolle einnehmen können.

Interview mit Andrea Simone Barth
Fachbereich Wirtschaft
Lehrstuhl für nachhaltige Arbeitsplatz- und Organisationsgestaltung

Photo by Mikey Harris on Unsplash

 

Andrea Barth beschäftigt sich in ihrer Forschung mit Arbeitsräumen