Die aktuellen Geschehnisse in der Ukraine stellen viele Eltern ebenso wie Pädagog:innen vor eine bisher unbekannte Herausforderung: Wie kommuniziere ich mit Kindern über das Thema „Krieg“? Stefanie Greubel, Professorin für Kindheitspädagogik und Prodekanin des Fachbereichs Bildungswissenschaft, und Lisa Butz, Kindheitspädagogin und landjährige Mitarbeiterin im Fachbereich Bildungswissenschaft, reagierten schnell auf die neue Nachfrage und organisierten Anfang März ein Online-Forum zum Thema: „Mit Kindern über Krieg sprechen!?“
Vor einigen Wochen haben Sie das Online-Forum „Mit Kindern über Krieg sprechen!?“ veranstaltet. Der Anlass ist offensichtlich – was aber war eine wesentliche Erkenntnis der Veranstaltung?
Stefanie Greubel (SG): Das Online Angebot wurde von fast 400 Menschen wahrgenommen. Viele Eltern wie auch Menschen aus dem pädagogischen Berufsfeld stehen vor der großen Herausforderung adäquat mit Kindern über die aktuelle Situation zu sprechen und suchen nach Hilfestellungen. Die Wortbeiträge der Teilnehmenden haben gezeigt, dass Kinder sehr feine Sensoren für Stimmungen und Ängste der Erwachsenen haben und teilweise auch konkrete Befürchtungen und Fragen stellen. Im Dialog mit den Praxisvertretern wurde betont, wie wichtig es ist auf diese Befürchtungen einzugehen und die Fragen kindgerecht zu beantworten. Gleichzeitig haben wir jedoch auch davor gewarnt, Krieg allzu plastisch und ausführlich darzustellen. Der familiäre Alltag sollte durch diese Themen nicht dominiert werden.
Lisa Butz (LB): Besonders in Erinnerung ist mir geblieben, dass einige Eltern berichteten, wie ihre Kinder Krieg spielen. Erwachsene haben mit ihrer sprachlichen Ausdrucksweise einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung und Meinung von Kindern. Wir müssen aufpassen, dass bei den Kindern kein Rassismus entsteht, weil sie aufschnappen „die Russen“ oder „die Ukrainer“ und pauschalisieren, die einen seien gut, die anderen böse.
Worin liegen die besonderen Herausforderungen der Erwachsenen im Umgang mit dem Thema Krieg?
SG: Die aktuellen Geschehnisse lassen auch uns Erwachsene mit einem Gefühl der Fassungslosigkeit und Hilflosigkeit zurück. Kinder erleben diese Unsicherheit und viele Erwachsene neigen dazu, ihre Sorgen ungefiltert zu teilen. Damit tritt jedoch schnell eine Überforderung der Kinder ein. Besser ist es, genau darauf zu achten, was die Kinder bewegt um darauf gezielt reagieren zu können. Kinder benötigen dringend ein Gefühl der Sicherheit um Vertrauen in sich und ihre Umwelt aufbauen zu können. Es muss daher auf eine stärkende Umgebung geachtet werden, die die Verantwortung und Lösung der Situation auf die Schultern der Erwachsenen verteilt und den Kindern einen emotionalen Schutzraum ermöglicht.
LB: Jeder Mensch verarbeitet eine solch schreckliche Situation anders. Manche Erwachsene sind im Schock und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen, manche verdrängen diese Tatsachen, wieder andere informieren sich tagtäglich und helfen aktiv. Uns sollte bewusst sein, dass Kinder ebenso unterschiedlich damit umgehen, manche äußern lautstark, was sie beschäftigt, manche Kinder beschäftigt die Situation vielleicht nicht, andere beschäftigen sich vielleicht auch nur innerlich damit und wir bekommen davon nichts mit. Bei unserem eigenen Verarbeiten der Situation sollten wir immer auch einen Blick auf das Kind haben. Beschäftigt das Kind die Situation wirklich nicht, nur weil es nicht darüber spricht oder drückt es die Verarbeitung vielleicht über das Spielen oder in Bildern aus?!
Inwieweit unterscheidet sich die Kommunikation über den Krieg mit jüngeren und älteren Kindern? Worauf sollten Eltern besonders achten?
SG: Entscheidend ist in erster Linie die individuelle Betroffenheit der Kinder. Haben sie Kontakt zu älteren oder sogar geflüchteten Kindern? Haben Sie konkrete Fragen oder Ängste? Eltern sollten hier genau hinsehen und entsprechend reagieren. Kindergartenkinder benötigen keine ausführlichen Informationen oder spezielle Nachrichtensendungen. Fragen, die gestellt werden sollten aber in einfachen Worten und mit Beispielen aus dem Alltagsleben („manchmal gibt es heftigen Streit“) beantwortet werden. Auch bei älteren Kindern sollte auf die durch sie gegebenen Impulse geachtet werden und das Maß an Information dadurch geregelt werden. Grundsätzlich gilt: Zeit nehmen und die Kinder ernst nehmen, unaufgeregt die Sachlage darstellen und betonen, dass sich die Erwachsenen um dieses Problem kümmern werden. Ebenso ist es wichtig zu erklären, dass Menschen nicht allein durch ihre Herkunft als böse oder gut bezeichnet werden können und dass durch Spenden oder andere Formen der Hilfsbereitschaft aktiv etwas getan werden kann. Insgesamt betrachtet sind Eltern als auch Pädagog:innen gut darin beraten selbstreflexiv und selbstberuhigend mit der Herausforderung umzugehen und nach Möglichkeit ein normales Alltagsleben zu gestalten.
LB: Je älter die Kinder sind, desto besser können sie die Zusammenhänge verstehen und desto mehr interessieren sie sich auch für die Welt und ihre Umwelt. Wenn wir Erwachsene mit unseren Erklärungen selbst unsicher sind und in Erklärungsnot kommen, ist es auch in Ordnung, dem eigenen Kind zu sagen, dass wir die Antwort selbst auch nicht genau kennen. Kindernachrichten sind vorab von den Eltern kritisch zu prüfen. Sie erklären zwar kindgerecht, worum es geht, jedoch sollten die Kinder beim Anschauen oder Lesen dieser immer begleitet werden, damit sie Rückfragen stellen können. Eltern sollten hierbei auch bedenken, dass dadurch vielleicht noch mehr Fragen entstehen könnten und diese emotional aufwühlen können. Sich hierzu mit den Pädagog:innen in Kita und Schule auszutauschen kann eine wertvolle Unterstützung sein.