Waldorfschulen sind beliebt. Das zeigen aktuelle Zahlen vom Bund der Freien Waldorfschulen. Seit dem Jahr 2000 ist in Deutschland nicht nur die Anzahl der Waldorfschüler:innen rasant angestiegen, sondern auch Zahl der Waldorfschulen hat deutlich zugenommen. So wurde zum Beispiel in Mannheim 2003 in einem benachteiligten Stadtviertel die Freie Interkulturelle Waldorfschule Mannheim gegründet. Mitbegründerin der Schule war Christiane Adam, die später an der Alanus Hochschule den berufsbegleitenden Master Pädagogik studierte. Heute promoviert Adam an der Universität Oldenburg zum Thema Bildungsaufstiege an Waldorfschulen. Dazu untersucht sie Bildungsverläufe von Waldorf-Absolvent:innen aus nicht-akademischen Elternhäusern.
Der Ursprung des Forschungsvorhabens geht auf ihre Erfahrungen an der Interkulturellen Waldorfschule Mannheim zurück. „Da sehr viele Kinder aus einem Elternhaus kamen, das bisher keine Erfahrung mit akademischer Bildung machen konnte, aber trotzdem hohe Erwartungen an die Schulkarrieren der Kinder hatte, war die Frage nach einem ‚Bildungsaufstieg‘ der Jugendlichen und einer dazu förderlichen Schulgestaltung von Beginn an präsent“, berichtet Adam. Dies war ausschlaggebend dafür, dass sie sich intensiver mit der Frage beschäftigte, welche Rolle Waldorfschulen im Leben von Menschen aus benachteiligen Verhältnissen einnehmen und inwiefern Waldorfschulen diese pädagogisch begleiten können.
Aus dem Schulalltag in die Wissenschaft
Nach dem Ende ihrer Tätigkeit an der Mannheimer Waldorfschule entschied sie sich für einen Perspektivwechsel, um die Frage nach Bildungsaufstiegen nicht nur im Schulkontext, sondern auch in der wissenschaftlichen Theorie weiter verfolgen zu können. Daher begann sie ein Masterstudium in Pädagogik an der Alanus Hochschule und vertiefte ihre wissenschaftlichen Interessen anschließend in einer Promotion. Was war das Besondere am Masterstudium? „Nach meinen Erfahrungen im schulischen Feld war es für mich neu und aufregend, die eher programmatisch geführten Debatten empirisch zu untermauern – das heißt von der Ebene ‚was soll sein‘ auf die Ebene zu wechseln ‚was passiert tatsächlich‘“, erläutert die Alumna ihre Motivation. Konkret kam Adam während des Masters in Berührung mit der sogenannten rekonstruktiven Sozialforschung, die ihr ganz neue Perspektiven auf das bisherige Arbeitsfeld Waldorfschule und Schule allgemein ermöglichte. Als wichtiges Beispiel nennt sie das Lehrforschungsprojekt, ein fester Bestandteil des Masters Pädagogik. Darin beschäftigte sie sich mit unterschiedlichen Wissenschaftskonzepten und führte ein eigenes empirisches Forschungsprojekt durch. „Wir konnten verschiedene Forschungsmethoden in der Praxis ausprobieren und erfahren, wie spannend Forschung sein kann. Das hat mich begeistert“, erzählt Adam im Rückblick auf ihr Masterstudium.
Diese ersten wissenschaftlichen Erfahrungen motivierten die Pädagogin anschließend zur Aufnahme einer Promotion. In ihrer Dissertation beschäftigt sich Adam mit den Lebensläufen ehemaliger Waldorfschüler:innen, deren Eltern keinen höheren Schulabschluss vorweisen können. Was wird dabei konkret analysiert? „Untersucht werden soll, welche Aspekte förderlich oder hinderlich auf den Schulerfolg gewirkt haben“, führt Adam das Promotionsvorhaben aus. Grundlage dafür sind biographisch-narrative Interviews, die im Rahmen der Dissertation entstanden sind. Insgesamt dreizehn ehemalige Waldorfschüler:innen mit Abitur oder Fachhochschulreife hat Adam befragt. Die Ergebnisse der Befragungen wertet sie aktuell aus. Die Analyseergebnisse sollen sowohl fallübergreifende Gemeinsamkeiten, als auch einzelfallspezifische Besonderheiten aufzeigen.
Wichtige Erkenntnisse für Waldorfschulen
Das Projekt schließt aus Sicht der Promovendin eine Wissenslücke im Forschungsfeld der Waldorfpädagogik: „Gerade bezüglich der Schulerfahrungen von Waldorfschüler:innen aus nicht-akademischen Elternhäusern gibt es bislang keine systematische Darstellung.“ Außerdem halte sie es für notwendig, die Realität innerhalb der Waldorfschulen weiter zu erforschen. Konkrete Ergebnisse müssten zwar noch abgewartet werden, dennoch kann Adam bereits erste Erkenntnisse ableiten: „Tatsächlich kann festgestellt werden, dass sich an Waldorfschulen Bildungsaufstiege ereignen. Das heißt, dass Waldorfschulen produktive Entwicklungsräume für Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Milieus bereithalten können“. Wichtig sei aber zu betonen, dass diese Erkenntnisse bislang auf Einzelfällen beruhen.
Auch für die schulische Praxis sieht sie ihre Promotionsarbeit als wichtig an: „Ich gehe davon aus, dass die Erfahrungen, die schon gemacht und beschrieben wurden, vor allem für Waldorflehrer:innen von Interesse sein könnten.“ Zentral sei es, auf die Bedürfnisse der Schüler:innen einzugehen und einen Beitrag für die Schaffung produktiver Bildungsräume für alle Kinder und Jugendlichen zu eröffnen. „Es geht vor allem darum, mehr Schüler:innen aus benachteiligten Milieus und sozialen Verhältnissen in die Waldorfschulen aufzunehmen, um so eine größere Vielfalt innerhalb der der Schulgemeinschaften zu erreichen“, schließt Adam. Dies sei eine wichtige Aufgabe für die Zukunft der Waldorfschule. Die Arbeit von Christiane Adam kann dazu sicherlich einen wertvollen Beitrag leisten.
Foto: © Charlotte Fischer / Bund der Freien Waldorfschulen e.V.