Als Professorin für Kindheitspädagogik und Prodekanin sind Ihre Aufgaben an der Alanus Hochschule vielfältig. Was hat diese Arbeit konkret mit Ihrem Einsatz für den SES zu tun?
Das war für mich auch spannend, als ich mein Profil im letzten Sommer beim SES abgegeben hatte. Ich war in der Vergangenheit in sehr vielfältigen Kontexten tätig, von daher war ich richtig neugierig, an welcher meiner Expertisen Interesse bestehen würde. Bei diesem Einsatz laufen ganz viele Fäden meiner bisherigen Biographie zusammen: Ich habe u. a. Erziehungswissenschaft und Psychologie studiert und bin im fachlichen Spektrum beider Fakultäten, die ich hier begleite, zu Hause. Dass ich als Instituts- und Studiengangleiterin mich auch mit Studiengangskonzeption und -akkreditierungen befasse und international für eine Akkreditierungsagentur für das Hochschulwesen gearbeitet habe, ist für das Kollegium hier durchaus dienlich. Meine Tätigkeit im Dekanat am Fachbereich Bildungswissenschaft der Alanus Hochschule und meine frühere Wahrnehmung des Amtes der stellvertretenden Senatsleiterin haben mir vielfältige Perspektiven auf Hochschulorganisation und hierauf bezogene Strategieentwicklung ermöglicht, was durch die Kollegien vor Ort auch als sehr hilfreich betrachtet wird. Nicht zuletzt habe ich mehrere Jahre für eine Unternehmensberatung zur Personal- und Organisationsentwicklung gearbeitet. Auch das fließt mit ein, und dass ich mich in Deutschland gerade im Bereich Coaching und Supervision mit systemischem Schwerpunkt weiterbilde, hilft uns hier ebenfalls. Letztlich sind die Themen, an denen wir an der Universitas Negeri gemeinsam arbeiten, ganz ähnliche wie die, mit denen wir uns in Deutschland und in Alfter befassen. Insofern lerne ich selbst auch sehr viel für unsere Herausforderungen und Aufgaben.
Hinzu kommen Detailaspekte: Bei uns gilt es ja als Besonderheit, dass wir an der Alanus Hochschule als Kunsthochschule auch wissenschaftliche Studienprogramme anbieten. Dieses Nebeneinander wissenschaftlicher und künstlerischer Fächer gibt es an dieser Uni ebenfalls. Besonders fand ich, dass sich Kolleg*innen hier auf meinen Einsatz vorbereitet haben, indem sie englischsprachige Aufsätze von mir gelesen haben und nun ein ganz spezifisches Interesse am Diskurs über bestimmte Fachthemen haben, das hatte ich nicht erwartet, und es freut mich umso mehr. Auch solche Aspekte tragen sicherlich zu einer guten Passung und einer guten Zusammenarbeit bei.
Wie sieht Ihr Tag in Jakarta beispielhaft aus?
Meine Tage sind hier sehr lang, dicht und intensiv, aber ich habe den Eindruck, dass ich etwas bewirken kann und dass die Kolleg*innen- die motiviert und froh sind über meine Beiträge-, und ich gemeinsam etwas für sie Relevantes auf den Weg bringen, und das macht das wett. Ich fahre von meinem Hotel, wo ich vom 12. Stock über diese wahnsinnig ausufernde Megastadt blicke, durch schon morgens schwül-heißes Klima mit dem Taxi eine Dreiviertelstunde zur Uni; dann gibt es Vortreffen und um 9 Uhr beginnt jeden Tag das gemeinsame Programm. Bis zum Abschluss der Arbeit vor Ort ist es in der Regel 16 Uhr, manchmal später. Danach ist dann fast täglich noch ein Fototermin angesagt – sowohl die Kolleg*innen als auch die Studierenden hier lieben es, Fotos von mir zu machen – bemerkt und unbemerkt, angekündigt und unangekündigt, mit ihnen, ohne sie, in Großgruppe, in Kleingruppe, egal. Das war für mich zunächst ungewohnt, aber ich verstehe das als Zeichen von Enthusiasmus, Wertschätzung und Nähe, und das ist hier offenbar kulturell ganz üblich. Deshalb nehme ich das gelassen als Teil dessen, was hier geschieht, und schmunzle darüber, dass in der bisher etwas über einen Woche vermutlich mehr Fotos von mir entstanden sind als bisher in meinem Leben. Im Anschluss finden manchmal noch Nachbesprechungen statt. Der Straßenverkehr ist eine der Herausforderungen, mit denen Jakarta umzugehen hat – meine Rückfahrt nach einem Arbeitstag in der Rush Hour dauert entsprechend ziemlich lang. Danach widme ich mich noch der Nachbereitung des Tages und Vorbereitung des Folgetages. Manchmal arbeite ich von Tag zu Tag mit verschiedenen Gruppen, manchmal sind wir über mehrere Tage mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten in den selben Konstellationen zusammen; die Kollegiumsgruppen sind je nach Organisationseinheit bzw. thematischer Gruppierung 10 bis 150 Personen groß. Für die Studierenden habe ich auch schon einen Vortrag von vier Stunden Länge gehalten, so war es gewünscht – das war ganz bewegend, deren Begeisterung für ihr Fach und einen internationalen Beitrag dazu zu spüren. Es stehen u .a. noch Besuche im Labor-Kindergarten und der Labor-Schule der Universität an, darauf freue ich mich schon.
Inwiefern findet eine gegenseitige Bereicherung statt? Was nehmen Sie für Ihre Arbeit in Alfter mit?
Ich sammle hier unwahrscheinlich viele Eindrücke und habe vielfältigste Erlebnisse, das ist ein Riesenstrauß spannender und wertvoller Erfahrungen und Inspirationen, die ich in meinem Reisegepäck zurück nach Alfter bringe. Ich lerne viel auf den unterschiedlichsten Ebenen: Für alle Felder, die ich bei der Frage danach, was meine bisherigen beruflichen Tätigkeiten mit meinem Einsatz hier konkret zu tun haben, genannt habe, nehme ich etwas mit. Auch für meine Lehrveranstaltungen mit den Studierenden in Alfter habe ich schon jetzt ein Füllhorn von Ideen. Wenn ich zurück in Deutschland bin, beginnt schon bald die Vorlesungszeit, und ich freue mich schon darauf, meine Erfahrungen und neu gewonnenen Erkenntnisse in meine Arbeit an der Alanus Hochschule einfließen zu lassen – sei es aus der Fachwissenschaft oder der Handlungspraxis, sei es dazu, wie die Brücke anderswo zwischen Beidem geschlagen wird oder sei hinsichtlich kultureller Besonderheiten, aus und von denen wir lernen können… das ist ein großes Spektrum.
Die SES-Einsätze verfolgen das Ziel: Hilfe zur Selbsthilfe. Wie können Sie Ihre Expertise vor Ort sinnvoll einbringen?
Ich bin jetzt die zweite von insgesamt drei Wochen hier in Jakarta. Mein Eindruck ist, dass die Rahmenbedingungen vom SES sehr umsichtig vorbereitet und die Einsätze sehr gut angebahnt werden. Beispielsweise übernimmt der SES die Kosten für die Projektbearbeitung, für Versicherungen und die internationalen Flüge, während die Partnerinstitution in der Regel die Kosten vor Ort übernimmt. Sie trägt auch Verantwortung für alles, was an Organisatorischem vor Ort zu regeln ist – dazu gehört z. B. die Hotelbuchung und der tägliche Transport zum und vom Einsatzort. Hinzu kommt, und das ist natürlich noch deutlich komplexer, die Detail-Koordination des Einsatzes in der Institution selbst. Das ist sehr vielschichtig und erfordert im Vorhinein und prozessbegleitend viel Aufmerksamkeit. Alle fühlen sich mit verantwortlich für das, was geschieht, und gestalten es mit – statt: Wir warten mal, wer da kommt und was diese Person zu bieten hat. Ich habe bisher während meiner Tätigkeit in den Fakultäten für Psychologie und Erziehungswissenschaft nicht nur die Alanus Hochschule vorgestellt, sondern natürlich auch den SES. Das Konzept von Ehrenamt, so habe ich mir sagen lassen, erschließt sich in verschiedenen Kulturkreisen unterschiedlich leicht, und auch der Gedanke der Hilfe zur Selbsthilfe ist unterschiedlich anschlussfähig. Für diese Themen haben wir uns am Anfang Zeit genommen. So sind die Rahmung und die Zielsetzung, glaube ich, angemessen verstanden worden. Das heißt nicht, dass es hier nicht auch immer wieder mal Situationen gibt, in denen wir - die Kolleg*innen der Universität vor Ort und ich - im Eifer der Aktivität einen Schritt zurück treten müssen – und dann gemeinsam darüber schmunzeln. Denn hier und da sind die Erwartungshorizonte an meine Beiträge für Strategieentwicklung, Lehre, Forschung, Netzwerkarbeit usw. dann doch so umfassend, dass sie gut zu einem Einsatz von drei Jahren im Unterschied zu einem von drei Wochen bzw. drei Tagen mit diesem spezifischen Kollegium passen würden. Zum Teil blitzt auch manchmal die Hoffnung durch, ich möge einfach als Expertin sagen, wo es lang zu gehen hat. Das mag auch eine kulturelle Komponente haben, aber sicher auch eine individuelle. In solchen Situationen bewährt sich Humor. Ich erlebe die Menschen hier als sehr offen und heiter, das gemeinsame Lachen entsteht in unserem Zusammensein, oft spontan und ist lebendig und laut. Immer wieder sind wir gefordert, genau zu schauen, wie wir in gemeinsamer Verantwortung die Zeit bestmöglich nutzen können.
Der Einsatz ist auf drei Wochen begrenzt, ist dieses Zeitfenster ausreichend, um sinnvoll wirken zu können?
Diese Frage habe ich mir vor dem Einsatz auch gestellt. Drei Wochen sind, so wirkt es im ersten Moment, eine kurze Zeit. Aber wenn der Einsatz institutionell an den relevanten Stellen gut verankert ist, wenn sich die Kolleg*innen vor Ort auf die gemeinsame Zeit vorbereitet haben, wenn sie wissen, was sie wollen, und sie motiviert sind, während der Einsatzzeit alles einzubringen, was ihnen einen bestmöglichen Ertrag einbringt, dann sind netto 15 Tage höchst intensiv, und es sind sehr gut investierte Tage. So erlebe ich es hier. Und natürlich begleitet uns über den gesamten Zeitraum die Frage nach dem Danach – der Transfer ist vom ersten Tag an immer ganz zentral im Fokus, und dieses Anliegen nachhaltig ertragreicher gemeinsamer Zeit motiviert und mobilisiert uns alle.
Herzlichen Dank für das Gespräch!