Wie lernen Kinder und Jugendliche, mit Medien souverän umzugehen? Welches Medium – analog oder digital – ist zu welchem Zweck und in welchem Alter sinnvoll? Und wie ist vor diesem Hintergrund die Medienbildung an Waldorfschulen und Waldorfkindergärten zu beurteilen? Diesen Fragen geht die aktuelle MünDig-Studie unter der Leitung von Alanus-Professorin Paula Bleckmann nach. Erstmalig wurde bei der Untersuchung zum Thema „Bildung im digitalen Zeitalter“ neben Tablet- und PC-Einsatz auch an Zettelkästen, Daumenkinos und Bibliotheksbesuche gedacht.
Die neu veröffentlichte MünDig-Studie zum Thema „Mündigkeit und Digitalisierung“ verfolgt das Ziel, den aktuellen Forschungsstand sowie bisher nicht empirisch untersuchte Phänomene zu beleuchten, Zusammenhänge bzw. Einflussfaktoren darzulegen und in den fachwissenschaftlichen Diskurs einzuordnen. Darüber hinaus wurden im Rahmen der Waldorf-Stichprobe „Good Practice-Beispiele“ erfasst und Weiterentwicklungsbedarfe identifiziert. In dieser Onlinebefragung wurden rund 1.000 pädagogische Fachkräfte, 4.000 Eltern sowie 400 Schülerinnen und Schüler befragt.
Die Forschungsergebnisse von Prof. Dr. Paula Bleckmann und ihrem Team zeigen, dass Waldorfeltern mit der Medienerziehung ihrer Kinder insgesamt zufrieden sind: Den Teil, der ohne Smartphone, Tablet, Computer & Co. auskommt, bewerten über 80 Prozent der Befragten über alle Altersstufen hinweg positiv. „Hieran zeigt sich“, so die Studienleiterin, „dass Medienbildung eben nicht nur am Bildschirm stattfindet. Gerade im Kindergarten- bzw. Grundschulbereich ist eine umfassende Medienerziehung ohne Bildschirme dem Konzept der sogenannten Digitalkita überlegen.“
Von der Heranführung an die Bildschirmmedien durch die Pädagoginnen und Pädagogen in der Mittel- und Oberstufe sind etwa 40 Prozent der Eltern überzeugt. Wie auch die befragten Schülerinnen und Schüler halten sie ab Klasse 7 eine aktivere Nutzung digitaler Medien im Unterricht für sinnvoll. „Dieses Ergebnis“, unterstreicht Paula Bleckmann, „deckt sich mit der Einschätzung der Fachkräfte. Sie sehen hier für sich einen großen Weiterbildungsbedarf.“
Viele Eltern wünschen sich darüber hinaus – abhängig vom Alter der Kinder – neben einer stärkeren Nutzung der Potenziale moderner Medien mehr pädagogische und praktische Unterstützung, zum Beispiel bei der Installation von Zeitbegrenzungs- oder Filtersoftware. Übereinstimmend sind Waldorf-Eltern und die dortigen Fachkräfte der Meinung, dass Medienbildung fest ins Curriculum für jüngere Kinder gehöre. Sie halten dabei allerdings den Einsatz von Medien ohne Bildschirm für ausreichend: „Bilder malen und Daumenkino basteln kommt vor Filme drehen und Websites erstellen“, fasst Bleckmann diesen Befund zusammen und fügt hinzu, dass sich die befragten Oberstufen-Eltern allerdings alles andere als einig über das richtige Maß für den Medieneinsatz in den höheren Klassen seien. Fast 50 Prozent sind der Meinung, in der Waldorfschule werde zu wenig mit digitalen Medien recherchiert, ein Zehntel hält es für zu viel, knapp die Hälfte hält den Umfang für richtig.
„Es fasziniert mich“, kommentiert Paula Bleckmann diese Befunde, „dass ich mit meiner Forschung Einfluss darauf nehmen kann, wie wir Menschen uns künftig gegenüber technologischen Entwicklungen aufstellen. Unsere differenzierte multidimensionale Befragung, die sowohl nach dem Alter der Kinder als auch nach Medien mit und ohne Bildschirm unterscheidet, hat es den Eltern ermöglicht, den Waldorfeinrichtungen ein positives Gesamtzeugnis auszustellen und dennoch Schwächen benennen zu können.“
Die Stärken reformpädagogischer Medienziehung wurden in dem jetzt publizierten Bericht zur Studie auch anhand von über 200 stichwortartig genannten Praxisbeispielen deutlich. Sie sollen, so die Hoffnung des Forscherteams aus Alfter, eine wertvolle Inspiration für den Kita- und Schulalltag – nicht nur im Waldorfkontext – sein.
Zur Vorgehensweise:
Die Studie ist das Ergebnis einer deutschlandweiten quantitativen Onlinebefragung. Die Erhebung der Daten fand von September bis Dezember 2019 an Waldorf- und Montessori-Einrichtungen und darüber hinaus von Februar bis April 2020 an Natur- und Waldkindergärten statt. Die beiden anderen Berichte erscheinen im Herbst 2022. Der multiperspektivische Ansatz berücksichtigt 60 Beispielaktivitäten mit je 18 Datenpunkten und somit über 1.500 einzelne Datenpunkte pro befragte Fachkraft und über 1.000 Datenpunkte pro befragtes Elternteil. Insgesamt erscheinen drei Berichte.
Die Studie wurde gefördert von der Software AG – Stiftung, der Pädagogischen Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen und der Vereinigung der Waldorfkindergärten.
>>Link zur MünDig-Studie
>>Link zum Interview mit Paula Bleckmann in der „Erziehungskunst“
Foto: © Charlotte Fischer