Mehr als Freihandzeichnen, Farben- oder Formenlehre: Im Architektur-Studium an der Alanus Hochschule durchzieht ästhetische Bildung die gesamte Studienzeit. Bachelor- ebenso wie Masterstudierende erlangen dadurch nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern reifen auch als Persönlichkeit, wie Willem-Jan Beeren, Professor für Architektur und Kunst an der Alanus Hochschule, im Interview erläutert.
Drei Fragen an Willem-Jan Beeren, Professor für Architektur und Kunst an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter/Bonn.
Was verstehen Sie unter Ästhetischer Bildung?
Ästhetik im engeren Sinne ist eine Erkenntnisform der sinnlichen Wahrnehmung. Es gehtum eine differenzierte Wahrnehmungsschulung und darum, Wahrnehmungskompetenz auszubilden. Ein anderer Aspekt ist, überhaupt zu konstatieren, dass wir wahrnehmende Wesen sind – das ist heute keineswegs mehr selbstverständlich, weil wir sehr intellektuell unterwegs sind.Im zweiten Schritt wollen wir auch gestalterische Kompetenz in den unterschiedlichsten Disziplinen entdecken und entwickeln. Im Bereich der Architektur geschieht das vor allem in Bezug auf die Gestaltung des Raums. Das versuchen wir im Studium möglichst breit anzulegen: vom Zeichnen über Musik bis zu öffentlichen Interventionen oder Performances.
Wie äußert sich das konkret im Studium?
Sowohl im Bachelor- als auch im Masterstudium gibt es über die gesamte Dauer begleitende Veranstaltungen im Bereich Gestaltung und Kunst. Im ersten Semester beginnen wir ganz klassisch mit dem Freihandzeichnen, weil das für unsere Arbeit nach wie vor eine der grundlegenden Fähigkeiten ist. Wir betrachten das Zeichnen aber nicht nur als Ausdrucksmittel für Ideen, sondern auch weiter gefasst als eine Form der Weltaneignung. Im zweiten Semester geht es weiter mit Körperarbeit z. B. über die Bothmer-Gymnastik. Die unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen des Leibes zu erforschen ist für viele eine neue Erfahrung. Wir bieten Kurse in Farben- und Formenlehre an oder arbeiten mit Fotografie und Videoinstallationen. Bei alldem sind wir im Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen der verschiedenen Fachbereiche und auch mit externen Experten. In der Architektur ist vieles sehr klar vorgegeben, in diesen Kursen dagegen gibt es große Freiräume – auch deshalb, weil es keinen unmittelbaren Verwertungsdruck gibt. Neben der fachlichen Bildung findet auf diese Weise insbesondere eine Persönlichkeitsbildung statt.
In der Architektur spielen auch soziale Fragen eine Rolle. Das spiegelt sich in den Projekten Ihres Fachbereichs, die häufig eine partizipative Ausrichtung haben. Wie gelingt es Ihnen dabei, etwa die Bewohnerinnen und Bewohner eines Stadtteils miteinzubeziehen?
In diesem Zusammenhang hat sich für uns das Format der temporären Intervention sehr bewährt. Dabei gehen wir auf Einladung mit Studierenden an Orte, an denen Veränderungsprozesse anstehen. Aktuell sind wir zum Beispiel mit der Stadt Wolfsburg im Dialog, wo wir im Juni in einem Außenbezirk einen Platz aus den 1970er Jahren bespielen werden. Wir wollen die Menschen vor Ort einladen, sich zu beteiligen und mit uns zu überlegen, wie man diesen Platz in Zukunft gestalten könnte. Dazuwaren wir im Herbst bereits eine Woche lang mit einer Gruppe vor Ort, haben den Platz erkundet, Modelle gebaut und Anwohner interviewt. Im nächsten Schritt inszenieren wir dann gemeinsam einen Startpunkt.Es geht noch nicht darum, wie der Platz konkret gestaltet werden soll, sondern darum, überhaupt Raum für neue Ideen zu schaffen. Dazu wollen wir etwas nicht Alltägliches schaffen, um den Leuten die Augen für die Potenziale des Platzes zu öffnen. Wenn alles nach Plan geht, werden wir im Sommer mit einer kleineren Gruppe ein paar Tage vor Ort sein und mit Dachlatten arbeiten. Das ist ein beliebtes Material: Es ist kostengünstig, wiederverwendbar und außerdem niedrigschwellig, weil jeder es kennt und keine besonderen Vorerfahrungen nötig sind, um damit zu arbeiten. So soll eine Art lebendige Skulptur entstehen, die sich nach und nach verdichtet und den Platz bevölkert. Wir haben das so ähnlich schon häufiger gemacht. Es geht einerseits um ein ansprechendes Bild und den ästhetischen Eindruck, aber genauso auch um das Prozessuale. Durch das gemeinsame Tun kommen wir ins Gespräch. Meistens kommen zuerst die Kinder, dann bringen sie ihre Eltern mit. Manche sitzen auch nur am Rande, andere meckern natürlich auch – aber insgesamt sind unsere Erfahrungen sehr positiv.
Zur Person:
Prof. Willem-Jan Beeren(geb. 1975) ist seit 2006 eingetragener Architekt und seit 2012 Professor für Architektur und Kunst an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter/Bonn. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Künstlergruppe beispielhaft.com sowie der ARGE BEEREN PETRY und realisiert Projekte im Bereich Architektur, Kunst am Bau sowie Kunst im öffentlichen Raum.
(Foto: Simon Heeremann)