Praktische Körperübungen in einer philosophischen Vorlesung zum Leib-Seele-Problem schulen die Wahrnehmungsfähigkeit der Studierenden, eine Filmanalyse kann auf fesselnde Weise ins Thema Künstliche Intelligenz einführen. Warum ästhetische Prozesse nicht nur auf künstlerischer, sondern auch auf wissenschaftlicher Ebene wertvoll sind, erläutert Thomas Schmaus, Professor für philosophische Anthropologie an der Alanus Hochschule, im Interview.
Drei Fragen an Thomas Schmaus, Professor für philosophische Anthropologie an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter/Bonn.
Was verstehen Sie unter ästhetischer Bildung?
Das zugrundeliegende altgriechische Wort aísthēsis bedeutet „Wahrnehmung“. Das könnte den Eindruck erwecken, es ginge hier um einen rein rezeptiven, also aufnehmenden Prozess. Ästhetik heißt jedoch auch, schöpferisch tätig zu werden, im Sinne von Mitgestalten – und zwar sowohl auf der Erkenntnis- und Wahrnehmungsebene als auch konkret im Handeln. Uns ist es wichtig, diese Prozesse herauszuarbeiten und zugänglich zu machen, gerade vor dem Hintergrund, dass heute Wissenschaft und Gesellschaft oft einseitig technisch und zielorientiert ausgerichtet sind. In der ästhetischen Bildung dagegen haben wir gestalterische Vorgänge, bei denen das Ergebnis nicht von vornherein feststeht. Daraus ergeben sich nicht nur für die Kunstwissenschaft wichtige Impulse, sondern auch für die Philosophie, die Gesellschaft oder die Ökonomie.
Die Alanus Hochschule legt großen Wert auf die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Studierenden. Inwiefern spielt dabei die ästhetische Bildung eine Rolle?
Persönlichkeitsbildung bzw. Selbstverwirklichung ist in der modernen Gesellschaft ja ein wichtiges Thema. In der spätmodernen Variante wird sie aber häufig als Selbstoptimierung oder auch Selbstinszenierung interpretiert. Im Sinne der ästhetischen Bildung ist es vielleicht passender, von Selbstgestaltung zu sprechen.Künstlerische Prozesse sind ko-kreative Prozesse: Sie finden im Austausch mit dem Umfeld und den Mitmenschen statt, aber auch mit dem Material. Das sieht man schön an der Redewendung „Jeder ist seines Glückes Schmied“, die man missverstehen könnte als Bild für die Selbstoptimierung. Aber beim Schmieden ist es entscheidend, auf das Material einzugehen – es kann zum Beispiel spröde sein und es mir schwer machen. In jedem Fall macht es etwas mit mir. Persönlichkeitsbildung ist deshalb unter ästhetischen Gesichtspunkten auch die Fähigkeit, mit dem Unverfügbaren umzugehen, mit dem zu arbeiten, was da ist, sich aufdrängt oder entzieht. Ziel ist dann nicht Aneignung, sondern Anverwandlung. Das Einüben ästhetischer Prozesse kann dies unterstützen, auch in anderen Lebensbereichen, etwa in Unternehmen. Es ist natürlich sinnvoll, Pläne zu machen – aber eben auch, offen für Prozesse zu sein, in denen sich Unerwartetes ergeben und gelingen kann.
Das für alle Studierenden verbindliche Studium Generale befasst sich mit eher übergeordneten Themen und bietet auch eine philosophische Reflexion der Studieninhalte. Was kann die ästhetische Bildung dazu beitragen?
Die Hochschule will ästhetische Prozesse grundsätzlich sowohl auf wissenschaftlicher als auch künstlerischer Ebene vermitteln. Im Studium Generale konzentrieren wir uns zunächst auf die wissenschaftliche Herangehensweise, verbinden diese aber durchaus mit gestalterischen Elementen. Ein Beispiel: In einer philosophischen Vorlesung zum Leib-Seele-Problem beschäftige ich mich theoretisch mit der Frage, wie das Denken in den Körper eingebettet ist („Embodiment“). Übungen zur Körpererfahrung und Wahrnehmungsschulung können diese Auseinandersetzung bereichern, weil die Studierenden selbst etwas erfahren, statt es nur beschrieben zu bekommen. Schon unterschiedliche Sitzhaltungen und Gesten haben eine immense Auswirkung.
Zur Person:
Prof. Dr. Thomas Schmaus (geb. 1978) ist seit 2018 Professor für philosophische Anthropologie an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter/Bonn. Dort leitet er das Institut für philosophische und ästhetische Bildung im Fachbereich Bildungswissenschaft, das auch den interdisziplinären Studiengang „Philosophy, Arts and Social Entrepreneurship“anbietet, der innovative Zugänge zu gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handlungsfeldern durch philosophische und ästhetische Bildung eröffnet.
(Foto: Antonia Krüger)